Mehrere Milliarden Euro geben Deutsche jedes Jahr für Reisen aus, die sie nicht antreten: Fünf bis zehn Prozent aller gebuchten Reisen werden schätzungsweise storniert. Je näher die Stornierung am geplanten Reisedatum liegt, desto höher werden die Stornogebühren, die Reiseanbieter von Verbrauchern einfordern. Bis zu 90 Prozent des Reisepreises fallen an. Glücklich ist der, der eine Reiserücktrittversicherung abgeschlossen hat. Allerdings zahlt diese Versicherung auch nur in bestimmten Fällen (Unfall, schwere Erkrankung, Tod eines Angehörigen) und im Laufe der Jahre fallen sehr hohe Versicherungsgebühren an (es läppert sich mit der Zeit). Es gibt aber auch eine Alternative:
Wer einen Ersatzreisenden stellt, kann diesem die gebuchte Reise übertragen und die Namen auf den Tickets ändern lassen. Das ist gesetzlich im § 651b BGB geregelt: „Bis zum Reisebeginn kann der Reisende verlangen, dass statt seiner ein Dritter in die Rechte und Pflichten aus dem Reisevertrag eintritt“. Der Haken: Bis vor ein paar Jahren konnten Reiseveranstalter für solche Namensänderungen noch sehr hohe Gebühren einfordern. Im September 2013 entschied allerdings das Landgericht München, dass derartig hohe Kosten Reisende unangemessen benachteiligen und nur tatsächlich anfallende Mehrkosten berechnet werden dürfen (Az. 12 O 5413/13). Seitdem beträgt die Gebühr für eine Namensänderung in den meisten Fällen zwischen 10 und 30 Euro, für hochpreisige Kreuzfahrten sind es ab und an bis zu 50 Euro.
Doch wie findet man gerade kurzfristig einen Ersatzreisenden, um sich die hohen Stornokosten sparen zu können? Darüber haben sich Sebastian May und Sergej Zwezich Gedanken gemacht und bieten mit ihrem in 2016 gegründeten Start-Up Alcandia einen Zweitmarkt für Reisen an, die eigentlich storniert werden würden. So funktioniert es: Alcandia vermittelt Reisen, die nicht angetreten werden können, für einen vergünstigten Preis an spontane Urlaubsbucher. Alcandia gibt für den Verkaufspreis der Reise eine Empfehlung ab, die häufig bei etwa 70 Prozent des ursprünglichen Preises liegt. Der Verkäufer kann den Preis allerdings selbst bestimmen und muss sich nicht an die Empfehlung von Alcandia halten.
Wer eine Reise bei Alcandia bucht, profitiert also von einem Schnäppchenpreis. Wer seine Reise nicht antreten kann und sie bei Alcandia verkauft, kann gegenüber hohen Stornokosten ebenfalls häufig einige Hundert Euro sparen. Und Alcandia profitiert natürlich auch davon. Das Berliner Start-Up berechnet für die komplette Abwicklung – also das Inserieren der Reise, die Übernahme des Namensänderungsprozesses, die Kommunikation mit den Veranstaltern, die treuhänderische Zahlungsabwicklung samt Verkäufer-/Käuferschutz – bei erfolgreichem Übertrag eine Servicegebühr von 15 bis 20 Prozent des Wiederverkaufspreises, individuell gemessen am jeweiligen Aufwand und an den Reisepreisen.
Alcandia ist nicht alleine auf dem Markt. Seit vielen Jahren bietet Stornopool schon solch einen Service an. Und Jumpflight bietet eine Seconad-Hand-Flugticket-Börse an und verlangt dafür nur eine kleine Inseratsgebühr (jedoch ohne Erfolgsgarantie). Allerdings wissen von solchen Möglichkeiten noch zu wenige Reisende. Und genau das will Alcandia mit groß angelegten Marketingaktionen, on- und offline, ändern. Aber auch Reisebüros (einige arbeiten schon mit Stornopool zusammen) sollen gezielt angesprochen werden, weil die Reisebüros bei Stornierungen auf ihre Provision ebenfalls verzichten müssen.
Und letztlich hat Alcandia ein spezielles Tool entwickelt: Den Stornorechner, mit dem Kunden ausrechnen können, wie hoch ihre Stornierungsgebühren aktuell sind und wann sie in die nächste Stornostaffel rutschen. Mit diesem Servicetool will Alcandia gegenüber den potentiellen Kunden punkten. Bleibt die Frage, ob es gelingt, eine kritische Masse an Kaufinteressenten auf die Plattform zu locken. Hier wäre sicherlich eine Kooperation mit einem großen Reiseportal hilfreich, aber die könnten natürlich auch auf die Idee kommen, eine eigene Plattform dafür zu gründen. Wir sind gespannt, wie sich alles weiter entwickelt.
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